Die rote Ampel vor Gericht

Ein bisschen peinlich war mir das schon, diesen ganzen Staatsapparat angeworfen zu haben, nur weil ich mit dem Fahrrad etwas zu weit gerollt war. Aber ich hatte nicht angefangen. Angefangen hatte dieser Polizist, der sich hinter einer Hecke versteckt gehalten hatte und von dort beobachtet haben wollte, wie ich bei Rot über die Ampel gefahren war. Dabei hatte ich auf Grün gewartet. Aber erst hinter der weißen Begrenzungslinie, womit ich in den Kreuzungsbereich eingedrungen sei und deshalb eine Missachtung des Rotlichtes vorliege. So der Heckenpolizist.

Da habe ich Einspruch eingelegt. Weil 200 Euro – plus 28,50 Gebühren und Auslagen – eine Menge Geld ist. Als Wiederholungstäter kommen zu den handelsüblichen hundert Euro nochmal hundert dazu.

Vor allem aber verletzt das meine Fahrradfahrer-Ehre, für eine Ampel zu zahlen, die ich nicht überfahren habe. Deshalb standen wir nun in Raum 2007 des Amtsgerichts Tiergarten und beugten uns über einen akkurat gezeichneten Kreuzungsplan – die Richterin, der Polizist und ich.

Die Richterin fragte den Polizisten, wo ich mich an jenem Morgen mit meinem Rad befunden habe. Der Polizist zeigte auf ein großes, schwarzes Kreuz auf dem Plan und sagte: „Da.“ „Wie, da?!“, entfuhr es mir. Offensichtlich war auch die Richterin über die Platzierung des Kreuzes verwundert. Jedenfalls fragte sie den Mann, warum ich denn mitten auf die Kreuzung gefahren sein sollte, um ausgerechnet dort auf Grün zu warten? „Keene Ahnung“, antwortete der Polizist.

Mir wäre da noch die eine oder andere Nachfrage eingefallen. Beispielsweise, ob bei der Polizei Kreuze mitunter dort gemacht werden, wo sie einer Sache mehr Eindeutigkeit verleihen? Und welche Folgen eine derartige Beweisführung in Fällen hat, bei denen es nicht nur um ein Bußgeld geht, sondern die Beweisführung einen Knastaufenthalt zur Folge haben kann? Machen die Polizei das auch bei Mord und Totschlag so: ein Kreuz einfach woanders hin malen?

Die Richterin wollte zu meiner Überraschung nichts mehr wissen, sondern sprach das Urteil: 55 Euro Geldbuße – statt 200. Ich mochte mich nicht so recht über den Strafnachlass freuen. Denn ich war mir sicher, der Polizist würde beim nächsten Mal das Kreuz wieder dorthin malen, wo es ihm gerade passte.