Späte Liebe

Berge waren für mich früher alle faschistoid. Dieses Alpenglühen, Luis Trenker, seine „Kameraden der Berge“. Und Adolf Hitler hat schließlich auch nicht an der Ostsee geurlaubt, sondern größenwahnsinnig in Obersalzberg. Also bin ich da nie hin, in die Berge.

Schon als Kind nicht. Meine Eltern mochten das Meer lieber. Und da sie nicht Skifahren konnten, konnte ich das auch nicht. Juist, Langeoog, Bornholm. Von mir aus hätte das so weitergehen können, mit dem Wasser. Zumal später noch das Mittelmeer hinzu kam. Und am Atlantik war’s auch schön. Mir hat nichts gefehlt – ohne Berge.

Aber ich muss so eine Ahnung gehabt haben. Warum sonst hätte ich mein Rennrad, das ich nur aus Versehen gekauft hatte und von dem ich gar nicht mehr wusste, dass es das noch gab, hinten auf den Camper schnallen sollen? Und wahrscheinlich war es auch kein Zufall, dass wir ausgerechnet am Mont Ventoux anhielten. Jedenfalls hob ich eines Morgens das Rad vom Träger und sagte: Da fahr‘ ich jetzt hoch.

Es war genauso heiß, wie in den Geschichten, die ich später über den Ventoux lesen sollte. Aber damals wusste ich noch nichts vom Mythos des Kahlen und empfand mich noch weniger als Teil davon. Mir war einfach nur heiß.

Als ich das erste Mal abstieg, war ich enttäuscht, aber noch mehr war ich beeindruckt von der Unbarmherzigkeit, mit der diese Straße ihre Bahn zog. Luis Trenker und Adolf Hitler waren mir egal, ich wollte weiter, weiter hoch.

Als ich es geschafft hatte und unter dem Antennenturm stand, ahnte ich: Diese Geschichte würde hier nicht enden. Denn obschon ich zweimal noch hatte absteigen müssen, erfüllte mich ein Gefühl des Stolzes, das von innen wohlig wärmte, und mir weder rechtsradikal noch irrsinnig vorkam.

Wieder unten angekommen, machten mir zwei rennradkundige Mitcamper Mut. 42/24 sei nun wirklich keine Bergübersetzung und Absteigen deshalb keine Schande. Also kaufte ich mir ein Aluminiumrad mit Kompaktschaltung und steuerte im Sommer drauf Alpe D’Huez an, um mich unvermittelt in einem Jedermann-Rennen wiederzufinden, was ja wohl kaum ein Zufall sein kann. Und als ich die ersten Leute überholte, wusste ich: Aus dieser Geschichte komme ich nicht mehr raus.

Seitdem bin ich viele Berge hochgefahren und stand unter vielen beklebten Passschildern, vor allem in den Alpen. Aber geglüht haben immer nur meine Oberschenkel – und keine Nazis. Ich glaube auch, den Alpen ist es wurscht, wer sich in ihrer Mächtigkeit überhöht. Wobei ich mir dort oben immer sehr klein vorkomme.

Den Bergen wird das so oder so egal sein. Die stehen einfach da. Und das tun sie auch noch, wenn eines fernen Tages alle Ideologien – und mit ihm der Mensch – verschwunden sein werden. Wie dann vermutlich auch alle Rennräder verschwunden sind. Was natürlich traurig ist, gibt es doch wirklich schöne Räder und lehrt einem das Rennradfahren nicht nur Demut, sondern bietet auch die Chance, seine Vergangenheit und seine Vorurteile hinter zu lassen.

Ans Meer fahre ich übrigens nur noch selten. Das ist mir irgendwie zu flach.

Balou

Tätowierungen sind im Peloton eher selten. Außer man fährt bei Hipster-Rennen mit. Aber dieses ganze Fixie-Getue und immer derselbe Gang, das ist mir zu starr. Außerdem zeichnen sich Muskelstränge auf unbemalter Haut besser ab als auf bemalter.

Umso überraschter war ich, als ich Kai traf. Im Erzgebirge. Ultegra 10-fach. Ganz klassisch. Nur seine Wade sah seltsam aus. Dreck war das keiner. Dreck macht kein Gesicht und hat auch keine Ohren.

„Balou“, klärte mich Kai auf. Der da auf seiner Wade sei Balou, sein Riesenschnauzer. Ich habe mal einen Marathonläufer kennengelernt, der hatte sich seine Bestzeit auf’s Bein tätowieren lassen. 2 Stunden 38 und ein paar Zerquetschte. Schneller würde er eh nicht mehr werden, war seine Begründung. Aber warum lässt man sich einen Riesenschnauzer auf den Unterschenkel stechen? „Warum nicht?“, fragte Kai zurück.

Vielleicht, weil der Hintermann denken könnte, Kai habe eine Meise, zusätzlich zum Hund. Muss man Hunde doch schon deshalb nicht umherfahren, weil die vier Beine haben, auf denen sie prima laufen können. Aber möglicherweise würde Balou auch einfach weglaufen. Er wirkt sehr friedfertig und fletscht noch nicht einmal im Ansatz die Zähne. Ich bezweifele, dass Balou sein Herrchen verteidigen würde.

Kai hat im Übrigen nicht nur einen Riesenschnauzer, sondern auch eine Frau. Die hat er aber nirgendwo tätowiert. Das würde ich noch verstehen, wenn man sich seine große Liebe unter die Haut jagt. Meine heißt Nishiki. Nishiki Competition. Baujahr 1984. Leider ist der Sattel zitronengelb. Und gelb lässt mich immer so blass aussehen.

Gratulation der Geschlechter

 

Diesmal ist alles anders bei der Tour de France – und das nicht nur wegen Corona. Die Etappensieger werden zwar weiterhin von zwei Hostessen eingerahmt, aber nur eine ist weiblich – und die andere, genau: männlich. Der Tour-Veranstalter versteht seine geschlechts-paritätische Neuerung als Zeichen gegen Sexismus. Ich sehe hingegen lauter Gefahren bei der Umsetzung.

Wobei ich nicht sicher bin, ob die Ausgestaltung von Siegerehrungen das dringlichste Problem des hochriskanten Radsports ist. Zumal gerade mal 38.000 Unterschriften zusammengekommen sind für die Abschaffung der Podiums-Hostessen. Die Petition für das Verbot von Berliner Pferdekutschen brachte es auf über 80.000.

Womit ich die Tour-de-France-Damen nicht mit Ackergäulen vergleichen will. Schon weil die viel schmaler sind als die Gäule. Allerdings auch kleiner. Denn die Rennradfahrer sind meist von niedrigem Wuchs, da sollen die Ehren-Damen die Sieger nicht überragen.

Und sicherlich auch nicht die Ehren-Herren. Aber so viele kleinwüchsige Models gibt es nicht, die zudem nicht breitschultrig sein dürfen. Sonst stehen die Fahrer immer in deren Schatten, und dann kommen die sich irgendwann derart mickrig vor, dass sie am Ende gar nicht mehr gewinnen wollen. Und dann kann man die Tour de France abschaffen.

Fürs erste könnte man sich behelfen, indem man das Siegerpodest höher baut, so ein Meter 50 hoch. Dann guckt auch der kleinste Sieger über die Hostessen hinweg, egal welchen Geschlechts die sind. Da müsste man dann allerdings eine Leiter neben das Podest stellen, damit die Fahrer da auch draufkommen. Die Frage, welche von beiden Hostessen den Sieger küssen darf, kann man dann immer noch klären, wenn der Impfstoff da ist.

Müssen jetzt nur noch die Boxer nachziehen und ihre Nummern-Girls durch Boys ersetzen. Eine gute Gelegenheit böte sich beim Comeback-Kampf von Mike Tyson, Ende November in Las Vegas. Das wäre spannend zu beobachten, wie der Ohrbeißer – und mit ihm die sicherlich wieder zahlreich im Publikum vertretenen Zuhälter – reagieren, wenn Männer glitzernde Schilder mit Zahlen hochhalten und Stöckelschuhe an den Füßen haben.

Ja, man muss manchmal auch was wagen für die Gleichberechtigung.

Am Bier lutschen

 

Corona ist zwar noch nicht wieder nur ein mexikanisches Bier, das kaum jemand trinkt, aber Radrennen sind schon wieder erlaubt, inklusive Windschatten. Was eigentlich schade ist. Ich hätte die Tour de France gerne mal als dreieinhalbtausend Kilometer langes Einzelzeitfahren gesehen. So viele Fahrer, so hübsch aufgereiht, das hätte was Hypnotisches.

Stattdessen klumpen jetzt wieder alle zusammen und „lutschen“ aneinander rum. Eine Verhaltensweise, die ich schon vor Corona ziemlich unappetitlich fand. Kommen die Flüssigkeiten, die der Vordermann nach hinten zum Lutscher wirft, doch aus Untiefen seines Körperinneren, in die man lieber nicht vorstoßen möchte. Und jetzt ist der Rotz auch noch ansteckend!

Möglicherweise. Es kommt wohl auf die Menge an. Das ist beim Gift schließlich genauso. In kleinen Dosen wirkt Strychnin keinesfalls tödlich, sondern ziemlich anregend. Weshalb Rennradfahrer seinerzeit gerne Strychnin zu sich genommen haben. Mir ist allerdings niemand bekannt, der freiwillig Corona nimmt. Was daran liegen könnte, dass Corona sehr gut nachweisbar ist.

Im antiken Rom haben die Athleten übrigens gerne Stierhoden verzehrt. Wegen der Hormone darin. Dabei gab es damals noch gar keine Fahrräder. Was mich zu der Frage bringt: Stehen Stierhoden überhaupt auf der Dopingliste? Vielleicht gelten Hoden in pürierter Form inzwischen als Bio-Anabolika und werden im Reformhaus als Viagra-Alternative angeboten. Da müsste man sich mal informieren.

Vor allem aber wüsste ich mal gerne, ob auf den Corona-Kugeln tatsächlich diese roten Propfen sitzen? Da habe ich den Herrn Drosten nie etwas zu sagen hören. Dafür hat er in seinem Podcast mal erzählt, dass er immer mit dem Fahrrad zur Arbeit fährt. Was mich dann doch wieder beruhigt hat. Solange der Kanzlerin-Virologe Rad fährt, solange werde auch ich Rad fahren dürfen. War meine Überlegung. Also habe ich dieses absurd teure Spinningrad nicht gekauft. Welch ein Glück, damals im April.

Im Februar war ich noch auf Mallorca. Sieben Tage Sonne und die letzten beiden sogar in kurzer Hose. Wunderbar! Nur leider kann ich das niemanden erzählen. Das erzeugt nur Neid. Vor allem bei den Kollegen, die im März noch auf die Insel sind und dann nicht raus durften aus dem Hotel.

Und jetzt ist der Sommer schon bald vorbei und Corona noch immer da. Logisch, so ein Virus hat schließlich keinen Urlaub. Wahrscheinlich kriegen Viren nicht einmal Tariflohn. Und ob die sich sonderlich für die Tour de France interessieren, wage ich auch mal zu bezweifeln.

Vielleicht überlegt es sich Christian Prudhomme ja noch einmal und macht doch ein Einzelzeitfahren daraus. Das wäre mal was anderes. Auch für den Tour-Direktor, der jedem Lutscher zur Strafe einen Sack Kartoffeln auf den Gepäckträger klemmen könnte. Den müssten die Fahrer natürlich am Rad montiert haben, den Gepäckträger. Aber das kriegt man schon hin.

Und bei Wiederholungstätern setzt sich Eddy Merckx hinten drauf.