Quäl dich nach Rom – ein Selbstversuch mit 90 Anderen

Warum fährt man mit dem Rad nach Rom, wenn man auch den Flieger nehmen kann? Wahrscheinlich, weil es Spaß macht. Sonst hätten sich nicht Anfang Juni 2019 fast 90 Rennradfahrer – und Fahrerinnen – auf den Weg in die Heilige Stadt gemacht. Von Garmisch-Partenkirchen aus, über die Alpen, durch die Dolomiten, längs des Apennin, nach dem Motto: Quäl dich und lass keinen Berg aus. – Über hoch gesteckte Ziele, wund gescheuerte Hintern, gebrochene Rahmen und geprellte Schultern. Und am Ende feiert Rupert seinen ganz persönlichen Sieg – mit Zigarre und roten Papst-Slippern.

 

 

Der Windschatten spendende Motorradpolizist

Plötzlich war da dieser Motorradpolizist. Von hinten war er heran geknattert, und ich dachte schon: jetzt bin ich dran. Weil ich doch unerlaubter Weise die Velothon-Strecke befuhr, auf der gleich die Profis lang schießen würden.

Eigentlich wollte ich nur eine kleine Trainingsrunde im Brandenburgischen drehen. Aber wohin ich auch steuerte, überall standen Ordner mit gelben Warnwesten rum und versperrten mir den Weg. Beim dritten Mal bin ich einfach weitergefahren. Und dann kam auch schon der Polizist.

Offensichtlich hatte er übersehen, dass ich keine Startnummer trug. Vielleicht war ihm das auch egal und er wollte später auf der Wache etwas zu erzählen haben. Jedenfalls fragte er mich, ob er mir Windschatten spenden solle. Ich weiß nicht warum ich genickt habe, ich habe es jedenfalls getan. Und so setzte der Mann seine Maschine vor meine und wir bügelten durch Neubeeren und weiter nach Sputendorf, wo die Leute offensichtlich annahmen, ich sei der Spitzenreiter. Jedenfalls waren sie ganz aus dem Häuschen und feuerten mich an.

Dem Polizisten schien der Applaus auch gut zu tun. Er grüßte die Leute mit erhobenem linkem Arm, so wie es die römischen Herrscher in den Gladiatoren-Filmen tun. Ich muss sagen, das ist schon etwas Besonderes, sich wie ein Erster zu fühlen und dabei unter dem Schutz der Ordnungsmacht zu stehen.

Aber wahrscheinlich tauge ich nicht zu einem Hauptmann vom Köpenick oder auch nur zu dem von Sputendorf. Mich beschlich die Sorge, doch noch als Falschfahrer aufzufliegen, und ich signalisierte meinem Vorfahrer, lieber alleine weiter pedalieren zu wollen.

Als der Motorradpolizist weg war, bog ich schnell nach links ab, runter von der Velothon-Strecke. Und so werde ich nie erfahren, ob wir unseren Vorsprung ins Ziel gerettet hätten – und wie die Geschichte des Polizisten endet, die er auf der Wache erzählen würde.

Der Brockenkönig

Ein bisschen mehr Hochachtung, bitte sehr. Schließlich bin ich der Brockenkönig. Das hört sich nicht nur kolossal an, das ist es auch: Brockenkönig 2015, so massiv wie royal, ein Titel für die Ewigkeit.

Okay, wir waren nur zu siebt. Aber es ist nicht meine Schuld, dass sich die Anderen von dem Dauerregen und den fünf Grad Celsius haben abschrecken lassen und meine Altersklasse nach oben offen war, weshalb auch drei Rentner in Schierke am Start standen. Erster ist Erster.

Wenn man den Pokal in ein bestimmtes Licht hält, könnte man meinen, er sei aus Silber und nicht aus Dosenblech. Das kleine Schild auf dem Steinfuß glänzt dagegen golden: „1. Platz über 60 Jahre“, entzifferte ich auf dem Nachhauseweg. Wie, über 60? Ja, da sei ihnen wohl ein kleiner Fehler unterlaufen, entschuldigte sich der Veranstalter tags drauf am Telefon.

Da saß ich da mit meinem Siegerpokal, den einzigen, den ich jemals erhalten hatte, den ich aber niemandem vorzeigen konnte, weil ich mich nicht als Ü-60-Jähriger ausgeben wollte, der ich, Gott sei Dank, noch nicht bin.

Sollte ich die 60 mit einem Edding schwärzen und mit Tippex „50“ drüber malen? Das würde auffallen. Also bin ich zum Gravur-Otto in die Hauptstraße, weil es auch um sportgeschichtliche Wahrheit geht. „12 Euro 50“, sagte Gravur-Otto. Da habe ich den Pokal gleich dagelassen.

Das neue Schild auf dem Sockel glänzt fast noch goldener als das alte, was vermutlich an der Inschrift liegt: „Brockenkönig 2015, 1. Platz über 50 Jahre“. Wie wahr!

 

Bike & Fuck

Ich fahre täglich am größten Puff Berlins vorbei. Das Artemis liegt auf meinem Weg zur Arbeit. Zurück am Abend muss ich aufpassen, dass mich die Puffgänger nicht umnieten. Die kommen von der Autobahn und knallen volles Rohr auf den Parkplatz. Und die anderen, die wieder runterfahren, sind zu abgeschlafft, als dass sie nach links und rechts gucken könnten. Ich halte das für keine gute Idee, einen Radweg direkt vor einem Bordell zu verlegen.

Wobei offensichtlich auch Zweiradfahrer das Artemis ansteuern. Kürzlich stand jedenfalls ein Rad davor. Nicht direkt davor, sondern an der Parkplatzmauer. Da war es angelehnt, eines dieser orange-farbenen Leihräder. Da habe ich mich gefragt: wer fährt denn, bitte sehr, mit dem Fahrrad zum Puff? Wird jetzt auch noch das Triebleben ökonomisiert, um das eingesparte Taxigeld an anderer Stelle zu reinvestieren?

Möglicherweise. Manche Männer kommen schließlich auch mit der S-Bahn. Ich sehe die immer vom Westkreuz runter dackeln. Ein AB-Ticket kostet ja nur 2,80. Das Fahrrad bietet wiederum den Vorteil, dass man vorher was für seine Kondition getan hat.

Aber so ganz bordell-tauglich scheint das Zweirad nicht zu sein. Sonst wäre der unbekannte Entleiher doch bis zum Eingang vorgerollt. Vielleicht war es ihm peinlich, so ganz ohne PS abzusatteln, und die Ökos haben noch immer Probleme mit ihrem Standing. Das wäre mal eine Recherche wert.

Gestern stand wieder ein Leihrad da. Diesmal ein schwarzes. Es stand auf der anderen Seite der Puffeinfahrt, gleich unter der Leuchtreklame. Das muss ein Trend sein. Würde mich nicht wundern, wenn die New York Times demnächst über diese neue Spielart des Berlin-Tourismus berichten würde: Bike & Fuck.

 

Durchfahren – durch den Film

Zuerst lächeln sie noch, die jungen Wegversperrer, die mit ihren Walkie-Talkies auf der Straße stehen und mir gleich sagen wollen, dass ich hier nicht durchfahren kann, weil ein Film gedreht wird und ich umdrehen soll. Aber ich will nicht umdrehen. Und anhalten werde ich auch nicht, was die Wegversperrer aber erst begreifen, als es schon zu spät ist. Und dann lächeln sie nicht mehr, sondern rufen aufgeregt in ihr Walkie-Talkie rein und schlagen Alarm bei den Leuten vom zweiten Sicherheitskreis, die also schon Bescheid wissen, wenn ich auf sie zusteuere.

Auf den Überraschungseffekt kann ich da nicht setzen. Deshalb verlangsame ich meine Fahrt und tue so, als hielte ich an. Um in dem Moment, in dem die Wegversperrer denken, die Gefahr sei gebannt, anzutreten und vorbeizuziehen, rechts oder links, egal, wo gerade mehr Platz ist, und dann rase ich mit einem Kampfschrei durch die Szene und bin auch schon wieder raus aus dem Sperrgebiet, denn offensichtlich denken die Walkie-Talkie-Typen am hinteren Ausgang, der irre Rennradfahrer gehört zur Handlung.

Und das sollte er auch. So viele Filme, wie in Berlin gedreht und Straßen gesperrt werden, da müsste die gezielte Durchkreuzung willkürlicher Verbote schon längst zum guten sportlichen Ton gehören und dies ein Merkmal deutscher Hauptstadt-Produktionen sein. Dänische Dogma-Filme sind halbdunkel, und bei Berlin-Movies jagt ein Radfahrer durchs Bild und ruft: „Ihr kriegt mich nicht, ihr Arschlöcher!“. Also, an mir soll’s nicht scheitern.

Was die Sache erschweren könnte, – wenn die Filmgesellschaften die luschigen Studenten durch zweikampferprobte Security-Schränke ersetzen. Da bleibt einem der Siegesruf möglicherweise im drangsalierten Halse stecken. Aber ich sage immer: man muss was wagen für seine Rennradfahrer-Freiheit.

 

Der untröstliche Agegrouper

Ich habe eine Medaille verpasst. 38 Hundertstel fehlten mir zu Bronze. Wissen Sie, wie kurz 38 Hundertstel sind? — So kurz. Aber das ist Sport. Ein Fingerschnippen – und das ganze Jahr ist ruiniert.

Dabei sollte dieses Jahr doch meines werden. Weil ich mich als 50-Jähriger nicht mehr gegen all die 45- und 46-jährigen Jungspunde zur Wehr setzen muss. Mit 50 startet man in einer neuen Altersklasse und kann Jagd auf die lahmen 53- und 54-Jährigen machen. Altersklassen sind eine überaus motivierende Erfindung unserer Freizeitgesellschaft.

Da fährt man dann auch gerne mal quer durch die Republik nach Freiburg. Dort findet der Schauinslandkönig statt. Das ist ein Bergzeitrennen, bei dem sich Radrennfahrer – und solche, die sich dafür halten – den Schauinsland hoch quälen und glauben, an ihnen sei ein Profi verloren gegangen. Der Medaillenrang in der Altersklasse beweist das schließlich. Muss man den nur noch einfahren.

Und hätte ich in der einen Kurve nicht wegen dieses Volltrottels auf die Außenbahn ausweichen müssen, weil der den kürzesten Weg versperrte, – ich wäre das Fingerschnippen schneller gewesen und dieser Lucas Dittmar vom Activity Racing Team würde sich jetzt nicht über Bronze freuen.

Wie ich den Ergebnislisten entnehmen konnte, hatte er das bereits das Jahr zuvor getan, bei seinem Einstand in der Altersklasse M 50. Mit einer Zeit, die langsamer war als meine. Und jetzt das: um mehr als eine Minute hatte dieser Lucas Dittmar seine Zeit verbessert, obwohl er ein Jahr älter geworden war. Der muss wirklich hart trainiert haben.

Wahrscheinlich hat er keine Familie, der er umständlich erklären muss, warum er am Sonntagnachmittag nicht mit in den Britzer Garten kommen kann. Und mit dem Sonntag ist es ja nicht getan. Um konkurrenzfähig zu sein, muss man auch an den anderen sechs Tagen in die Pedale treten. Und da bietet sich der Urlaub als Intensivblock natürlich an, den man folgerichtig in den französischen Alpen verlebt, die man dann konsequenter Weise alleine erkundet, ohne Familie, dafür auf dem Rad.

Und das alles, um am Ende die Medaille zu verpassen – um 38 Hundertstel. Ein Fingerschnippen kann ziemlich lange nachhallen.

 

 

Wildschweinsport

Zuerst dachte ich: Wildschweine. Das müssen Wildschweine sein, die sich durchs Unterholz pflügen. So wie das krachte und schubberte. Wildschweine gibt es ja reichlich im Grunewald. Und ich hatte am Teufelsberg auch schon mal eines gesehen. Aber dann hörte ich es schreien. Angstschreie waren das keine. Das klang eher so, als seien die Wildschweine auf irgendetwas sauer.

Komisch, dachte ich. Erst recht, als ich es durchs Geäst neon-gelb habe schimmern sehen. Sollten die Wildschweine ihre T-Shirts neuerdings bei H&M einkaufen? Eine Frage, der ich nicht weiter nachgehen konnte, denn plötzlich stand die Frau auf dem Weg. Neongelb – und mit einem Autoreifen über der Schulter. Auch die zweite Frau, die aus dem Wald sprang, trug einen schweren, schwarzen Reifen. Die anderen zogen ein Seil hinter sich her, mit dem man ein Kreuzfahrtschiff hätte vertauen können.

Grußlos tappte die weibliche Rotte an mir vorbei. Und auch der mächtige Mann, der die Nachhut bildete, sagte nichts, sondern stieg in ein Auto, in das er zuvor die Reifen und das Schiffsseil verstaut hatte. Auf dem SUV stand: „Nature Athletes“. Natursportler? Am Teufelsberg? Mit Autoreifen?

Genau, sagt Miri. Die Autoreifen werfe man vor sich in den Wald und mit dem Tau ziehe man einen Kollegen übers Laub. Das sei sehr anstrengend. Und darum ginge es: sich bei Wind und Wetter zu verausgaben. Sagt Miri, die bei Nature Athletes für die Public Relations zuständig ist.

Der mächtige Mann nennt sich Jhaki und ist Personaltrainer. Jhaki verspricht, seine Kundinnen zu ausgeglichenen Menschen zu machen und ihnen die Natur nahe zu bringen. Jede Zeit hat halt ihren eigenen Naturbegriff. Und wenn um die halbe Welt geflogene Avocados bio sind, kann man wahrscheinlich auch einen Berliner Schuttberg für urwüchsig und das Wegwerfen von Autoreifen für eine organische Körperertüchtigung halten.

Es hätten aber auch Wildschweine sein können.

 

Vorsätzliche Vorfahrtnahme

Als das Chaos auf der Potsdamer Brücke losbrach und Autofahrer die Baustelle kaperten, indem sie die zahlreichen Verbotsschilder ignorierten, ohne den Verkehr auf der Gegenspur zu berücksichtigen,- als also die Anarchie auf Berlins Straßen gesiegt hatte, da dachte ich nur: Ja, und?

Für mich ist die gezielte Gesetzesuntreue hiesiger Autofahrer Alltag. Denn ich bin Fahrradfahrer. Ja, auch Radfahrer deuten die Straßenverkehrsordnung bisweilen zu ihren Gunsten. Dabei fahren sie fremden Leuten in der Regel aber kein Bein ab. Ich habe zwar noch alle beide dran. Aber dies nur, weil ich weiß, wohin mein Verkehrsgegner steuert, ehe er es selbst weiß.

Diese Fähigkeit, für den anderen mitzufahren, erhöht die Chance auf Unversehrtheit, ist aber keine Garantie dafür. Denn Verhaltensweisen verändern sich. So dachte ich bis vor kurzem noch: Ein Autofahrer, der mir entgegenkommt und mich sieht, der also weder eine SMS schreibt noch gerade bei Whatsapp was nachschaut, der gewährt mir die zustehende Vorfahrt – und biegt erst danach ab. Aber das ist offensichtlich zu viel der Rücksichtnahme und Gesetzestreue. Jedenfalls werde ich regelmäßig von PKW – und gerne auch von LKW-Fahrern – geschnitten, mit einem Blick, der zu fragen scheint: „Alter, was willst du?“. – „Vorfahrt!“, habe ich einmal geantwortet. Woraufhin die Gegenseite vorschlug, ich solle mich gefälligst selbst ficken.

Könnten Verhalten und Vokabular darauf hinweisen, dass nach dem virtuellen auch der öffentliche Raum zunehmend verroht? Oder handelt es sich bei der vorsätzlichen Vorfahrtnahme um eine prophylaktische Rache für die Radspuren, die demnächst auf Berlins Straßen gepinselt werden? Ich halte beides für möglich. Vielleicht ist es aber auch viel einfacher, und die Autorfahrer ziehen deshalb nach links, weil ihr Wagen keine Beine hat, die man ihm abfahren kann.

Die rote Ampel und der weiße Strich

Ich bin kürzlich mit dem Rennrad nach Zehlendorf gefahren. Wie so häufig. In der Schorlemer Allee leuchtete die Ampel rot. Ich hielt an, und als Grün kam, trat ich wieder in die Pedale. Plötzlich sprang ein Mann hinter dem Gebüsch hervor und bezichtigte mich, die Ampel bei Rot überfahren zu haben. Meine Vermutung, es handele sich um eine Verwechselung, schloss der Polizist aus. Ein Kollege habe den Vorgang beobachtet.

Welchen Grund mochte die Berliner Polizei haben, ein Komplott gegen mich zu schmieden? Das fragte ich mich, als mir der Tatvorwurf vom vorgeblichen Augenzeugen erläutert wurde: ich sei in den geschützten Kreuzungsbereich eingedrungen. Wie ich erfuhr, ist der Tatbestand der Kreuzungsbereichs-Eindringung erfüllt, wenn man den durchgezogenen weißen Balken überfährt und die gestrichelte Linie dahinter mit dem Vorderrad berührt. Man muss eine Ampel also gar nicht überfahren, um sie zu überfahren. Dass ich die Kreuzung weder passiert hatte, noch dies vorgehabt hatte, sei bußgeld-technisch von keinerlei Bedeutung. 100 Euro und ein Punkt in Flensburg.

Da habe ich den Mann angefleht, er möge bitte, bitte eine Ausnahme machen und dass das Leben doch keine weiße Linie sei. Woraufhin der Ordnungshüter antwortete: Doch.

Später, als die Wut etwas nachgelassen hatte, versuchte ich, die Sache ying-yang-mäßig zu sehen. Dass ich das Geld für all die Ampeln zahle, die ich tatsächlich überfahren habe und dies letztlich ein gutes Geschäft ist. Aber das klappte nicht. Ich sah den Polizisten vor mir, der unbarmherzig auf die weiße Linie deutete.

Und dann wurde ich traurig, weil ich an den Polizei-Schüler denken musste, der die ganze Zeit danebenstand und jetzt womöglich glaubt, das Leben sei tatsächlich eine weiße Linie, die man nicht mit dem Vorderrad berühren darf.

 

Die rote Ampel vor Gericht

Ein bisschen peinlich war mir das schon, diesen ganzen Staatsapparat angeworfen zu haben, nur weil ich mit dem Fahrrad etwas zu weit gerollt war. Aber ich hatte nicht angefangen. Angefangen hatte dieser Polizist, der sich hinter einer Hecke versteckt gehalten hatte und von dort beobachtet haben wollte, wie ich bei Rot über die Ampel gefahren war. Dabei hatte ich auf Grün gewartet. Aber erst hinter der weißen Begrenzungslinie, womit ich in den Kreuzungsbereich eingedrungen sei und deshalb eine Missachtung des Rotlichtes vorliege. So der Heckenpolizist.

Da habe ich Einspruch eingelegt. Weil 200 Euro – plus 28,50 Gebühren und Auslagen – eine Menge Geld ist. Als Wiederholungstäter kommen zu den handelsüblichen hundert Euro nochmal hundert dazu.

Vor allem aber verletzt das meine Fahrradfahrer-Ehre, für eine Ampel zu zahlen, die ich nicht überfahren habe. Deshalb standen wir nun in Raum 2007 des Amtsgerichts Tiergarten und beugten uns über einen akkurat gezeichneten Kreuzungsplan – die Richterin, der Polizist und ich.

Die Richterin fragte den Polizisten, wo ich mich an jenem Morgen mit meinem Rad befunden habe. Der Polizist zeigte auf ein großes, schwarzes Kreuz auf dem Plan und sagte: „Da.“ „Wie, da?!“, entfuhr es mir. Offensichtlich war auch die Richterin über die Platzierung des Kreuzes verwundert. Jedenfalls fragte sie den Mann, warum ich denn mitten auf die Kreuzung gefahren sein sollte, um ausgerechnet dort auf Grün zu warten? „Keene Ahnung“, antwortete der Polizist.

Mir wäre da noch die eine oder andere Nachfrage eingefallen. Beispielsweise, ob bei der Polizei Kreuze mitunter dort gemacht werden, wo sie einer Sache mehr Eindeutigkeit verleihen? Und welche Folgen eine derartige Beweisführung in Fällen hat, bei denen es nicht nur um ein Bußgeld geht, sondern die Beweisführung einen Knastaufenthalt zur Folge haben kann? Machen die Polizei das auch bei Mord und Totschlag so: ein Kreuz einfach woanders hin malen?

Die Richterin wollte zu meiner Überraschung nichts mehr wissen, sondern sprach das Urteil: 55 Euro Geldbuße – statt 200. Ich mochte mich nicht so recht über den Strafnachlass freuen. Denn ich war mir sicher, der Polizist würde beim nächsten Mal das Kreuz wieder dorthin malen, wo es ihm gerade passte.

Die Krähe

Ich war auf dem Weg zur Arbeit. Wie immer fuhr ich mit dem Rad die Seesener Straße lang, als ich hinter mir ein Geräusch hörte, das schnell näher kam. Als ich mich umdrehte, schaute ich in die schwarz-blassen Augen einer Nebelkrähe, die ihre kralligen Füße zur Attacke gespreizt hatte, um sie sogleich in meine Mütze zu schlagen. Da die Mütze eigentlich eine Nummer zu klein ist, vermochte der Vogel mir die Haube nicht vom Schädel zu reißen, sodass das Tier ohne Textil im grauen Berliner Himmel entschwand.

Beim Berliner Naturschutzbund wusste man die animalische Attacke nicht zu deuten, greifen Krähen Menschen üblicherweise nur im Mai an, wenn sie Junge haben und unsereins für bösartige Nesträuber halten.

Also habe ich den deutschen Krähen-Papst Josef Reichholf angerufen. Der Doktor-Professor hat sein Heim jahrzehntelang mit diversem Schwarzgefieder geteilt. Und als Galgenvogel-Versteher sagt er: Die Krähe hatte es gar nicht auf mich abgesehen, sondern sie wollte die Mütze befreien. Der Vogel hielt die schwarze Haube für einen Kollegen, den ich, ein Riesenhabicht, in den Fängen hatte.

Meine Mütze mit einem Blinklicht zu versehen, hält der Raben-Professor für nicht erforderlich. Der schlaue Vogel würde den Verwechselungsfehler kein zweites Mal machen. Das ist auf der einen Seite beruhigend. Auf der anderen Seite ist das ein gutes Morgentraining,- vom Krähen-Peloton gejagt zu werden.

 

 

Hauptsache hoch – über die Faszination, bergauf zu fahren

 

Die meisten Rennradfahrer fahren gerne bergab. Da ist man schnell und muss sich nicht einmal anstrengen. Aber es gibt auch die anderen, die lieber bergauf fahren und sich freuen, wenn die Steigungsgrade zweistellig sind. Schwierig wird die Angelegenheit, wenn Berliner Radsportler die Kletterlust packt. Denn die höchste Erhebung der Stadt heißt zwar Berg, ist aber nur eine Schutthalde – der Teufelsberg. Über den schwierigen Versuch, seine Gipfel-Fantasien in der platten Hauptstadt auszuleben.