Wildschweinsport

Zuerst dachte ich: Wildschweine. Das müssen Wildschweine sein, die sich durchs Unterholz pflügen. So wie das krachte und schubberte. Wildschweine gibt es ja reichlich im Grunewald. Und ich hatte am Teufelsberg auch schon mal eines gesehen. Aber dann hörte ich es schreien. Angstschreie waren das keine. Das klang eher so, als seien die Wildschweine auf irgendetwas sauer.

Komisch, dachte ich. Erst recht, als ich es durchs Geäst neon-gelb habe schimmern sehen. Sollten die Wildschweine ihre T-Shirts neuerdings bei H&M einkaufen? Eine Frage, der ich nicht weiter nachgehen konnte, denn plötzlich stand die Frau auf dem Weg. Neongelb – und mit einem Autoreifen über der Schulter. Auch die zweite Frau, die aus dem Wald sprang, trug einen schweren, schwarzen Reifen. Die anderen zogen ein Seil hinter sich her, mit dem man ein Kreuzfahrtschiff hätte vertauen können.

Grußlos tappte die weibliche Rotte an mir vorbei. Und auch der mächtige Mann, der die Nachhut bildete, sagte nichts, sondern stieg in ein Auto, in das er zuvor die Reifen und das Schiffsseil verstaut hatte. Auf dem SUV stand: „Nature Athletes“. Natursportler? Am Teufelsberg? Mit Autoreifen?

Genau, sagt Miri. Die Autoreifen werfe man vor sich in den Wald und mit dem Tau ziehe man einen Kollegen übers Laub. Das sei sehr anstrengend. Und darum ginge es: sich bei Wind und Wetter zu verausgaben. Sagt Miri, die bei Nature Athletes für die Public Relations zuständig ist.

Der mächtige Mann nennt sich Jhaki und ist Personaltrainer. Jhaki verspricht, seine Kundinnen zu ausgeglichenen Menschen zu machen und ihnen die Natur nahe zu bringen. Jede Zeit hat halt ihren eigenen Naturbegriff. Und wenn um die halbe Welt geflogene Avocados bio sind, kann man wahrscheinlich auch einen Berliner Schuttberg für urwüchsig und das Wegwerfen von Autoreifen für eine organische Körperertüchtigung halten.

Es hätten aber auch Wildschweine sein können.

 

Vorsätzliche Vorfahrtnahme

Als das Chaos auf der Potsdamer Brücke losbrach und Autofahrer die Baustelle kaperten, indem sie die zahlreichen Verbotsschilder ignorierten, ohne den Verkehr auf der Gegenspur zu berücksichtigen,- als also die Anarchie auf Berlins Straßen gesiegt hatte, da dachte ich nur: Ja, und?

Für mich ist die gezielte Gesetzesuntreue hiesiger Autofahrer Alltag. Denn ich bin Fahrradfahrer. Ja, auch Radfahrer deuten die Straßenverkehrsordnung bisweilen zu ihren Gunsten. Dabei fahren sie fremden Leuten in der Regel aber kein Bein ab. Ich habe zwar noch alle beide dran. Aber dies nur, weil ich weiß, wohin mein Verkehrsgegner steuert, ehe er es selbst weiß.

Diese Fähigkeit, für den anderen mitzufahren, erhöht die Chance auf Unversehrtheit, ist aber keine Garantie dafür. Denn Verhaltensweisen verändern sich. So dachte ich bis vor kurzem noch: Ein Autofahrer, der mir entgegenkommt und mich sieht, der also weder eine SMS schreibt noch gerade bei Whatsapp was nachschaut, der gewährt mir die zustehende Vorfahrt – und biegt erst danach ab. Aber das ist offensichtlich zu viel der Rücksichtnahme und Gesetzestreue. Jedenfalls werde ich regelmäßig von PKW – und gerne auch von LKW-Fahrern – geschnitten, mit einem Blick, der zu fragen scheint: „Alter, was willst du?“. – „Vorfahrt!“, habe ich einmal geantwortet. Woraufhin die Gegenseite vorschlug, ich solle mich gefälligst selbst ficken.

Könnten Verhalten und Vokabular darauf hinweisen, dass nach dem virtuellen auch der öffentliche Raum zunehmend verroht? Oder handelt es sich bei der vorsätzlichen Vorfahrtnahme um eine prophylaktische Rache für die Radspuren, die demnächst auf Berlins Straßen gepinselt werden? Ich halte beides für möglich. Vielleicht ist es aber auch viel einfacher, und die Autorfahrer ziehen deshalb nach links, weil ihr Wagen keine Beine hat, die man ihm abfahren kann.

Die rote Ampel und der weiße Strich

Ich bin kürzlich mit dem Rennrad nach Zehlendorf gefahren. Wie so häufig. In der Schorlemer Allee leuchtete die Ampel rot. Ich hielt an, und als Grün kam, trat ich wieder in die Pedale. Plötzlich sprang ein Mann hinter dem Gebüsch hervor und bezichtigte mich, die Ampel bei Rot überfahren zu haben. Meine Vermutung, es handele sich um eine Verwechselung, schloss der Polizist aus. Ein Kollege habe den Vorgang beobachtet.

Welchen Grund mochte die Berliner Polizei haben, ein Komplott gegen mich zu schmieden? Das fragte ich mich, als mir der Tatvorwurf vom vorgeblichen Augenzeugen erläutert wurde: ich sei in den geschützten Kreuzungsbereich eingedrungen. Wie ich erfuhr, ist der Tatbestand der Kreuzungsbereichs-Eindringung erfüllt, wenn man den durchgezogenen weißen Balken überfährt und die gestrichelte Linie dahinter mit dem Vorderrad berührt. Man muss eine Ampel also gar nicht überfahren, um sie zu überfahren. Dass ich die Kreuzung weder passiert hatte, noch dies vorgehabt hatte, sei bußgeld-technisch von keinerlei Bedeutung. 100 Euro und ein Punkt in Flensburg.

Da habe ich den Mann angefleht, er möge bitte, bitte eine Ausnahme machen und dass das Leben doch keine weiße Linie sei. Woraufhin der Ordnungshüter antwortete: Doch.

Später, als die Wut etwas nachgelassen hatte, versuchte ich, die Sache ying-yang-mäßig zu sehen. Dass ich das Geld für all die Ampeln zahle, die ich tatsächlich überfahren habe und dies letztlich ein gutes Geschäft ist. Aber das klappte nicht. Ich sah den Polizisten vor mir, der unbarmherzig auf die weiße Linie deutete.

Und dann wurde ich traurig, weil ich an den Polizei-Schüler denken musste, der die ganze Zeit danebenstand und jetzt womöglich glaubt, das Leben sei tatsächlich eine weiße Linie, die man nicht mit dem Vorderrad berühren darf.

 

Die rote Ampel vor Gericht

Ein bisschen peinlich war mir das schon, diesen ganzen Staatsapparat angeworfen zu haben, nur weil ich mit dem Fahrrad etwas zu weit gerollt war. Aber ich hatte nicht angefangen. Angefangen hatte dieser Polizist, der sich hinter einer Hecke versteckt gehalten hatte und von dort beobachtet haben wollte, wie ich bei Rot über die Ampel gefahren war. Dabei hatte ich auf Grün gewartet. Aber erst hinter der weißen Begrenzungslinie, womit ich in den Kreuzungsbereich eingedrungen sei und deshalb eine Missachtung des Rotlichtes vorliege. So der Heckenpolizist.

Da habe ich Einspruch eingelegt. Weil 200 Euro – plus 28,50 Gebühren und Auslagen – eine Menge Geld ist. Als Wiederholungstäter kommen zu den handelsüblichen hundert Euro nochmal hundert dazu.

Vor allem aber verletzt das meine Fahrradfahrer-Ehre, für eine Ampel zu zahlen, die ich nicht überfahren habe. Deshalb standen wir nun in Raum 2007 des Amtsgerichts Tiergarten und beugten uns über einen akkurat gezeichneten Kreuzungsplan – die Richterin, der Polizist und ich.

Die Richterin fragte den Polizisten, wo ich mich an jenem Morgen mit meinem Rad befunden habe. Der Polizist zeigte auf ein großes, schwarzes Kreuz auf dem Plan und sagte: „Da.“ „Wie, da?!“, entfuhr es mir. Offensichtlich war auch die Richterin über die Platzierung des Kreuzes verwundert. Jedenfalls fragte sie den Mann, warum ich denn mitten auf die Kreuzung gefahren sein sollte, um ausgerechnet dort auf Grün zu warten? „Keene Ahnung“, antwortete der Polizist.

Mir wäre da noch die eine oder andere Nachfrage eingefallen. Beispielsweise, ob bei der Polizei Kreuze mitunter dort gemacht werden, wo sie einer Sache mehr Eindeutigkeit verleihen? Und welche Folgen eine derartige Beweisführung in Fällen hat, bei denen es nicht nur um ein Bußgeld geht, sondern die Beweisführung einen Knastaufenthalt zur Folge haben kann? Machen die Polizei das auch bei Mord und Totschlag so: ein Kreuz einfach woanders hin malen?

Die Richterin wollte zu meiner Überraschung nichts mehr wissen, sondern sprach das Urteil: 55 Euro Geldbuße – statt 200. Ich mochte mich nicht so recht über den Strafnachlass freuen. Denn ich war mir sicher, der Polizist würde beim nächsten Mal das Kreuz wieder dorthin malen, wo es ihm gerade passte.

Die Krähe

Ich war auf dem Weg zur Arbeit. Wie immer fuhr ich mit dem Rad die Seesener Straße lang, als ich hinter mir ein Geräusch hörte, das schnell näher kam. Als ich mich umdrehte, schaute ich in die schwarz-blassen Augen einer Nebelkrähe, die ihre kralligen Füße zur Attacke gespreizt hatte, um sie sogleich in meine Mütze zu schlagen. Da die Mütze eigentlich eine Nummer zu klein ist, vermochte der Vogel mir die Haube nicht vom Schädel zu reißen, sodass das Tier ohne Textil im grauen Berliner Himmel entschwand.

Beim Berliner Naturschutzbund wusste man die animalische Attacke nicht zu deuten, greifen Krähen Menschen üblicherweise nur im Mai an, wenn sie Junge haben und unsereins für bösartige Nesträuber halten.

Also habe ich den deutschen Krähen-Papst Josef Reichholf angerufen. Der Doktor-Professor hat sein Heim jahrzehntelang mit diversem Schwarzgefieder geteilt. Und als Galgenvogel-Versteher sagt er: Die Krähe hatte es gar nicht auf mich abgesehen, sondern sie wollte die Mütze befreien. Der Vogel hielt die schwarze Haube für einen Kollegen, den ich, ein Riesenhabicht, in den Fängen hatte.

Meine Mütze mit einem Blinklicht zu versehen, hält der Raben-Professor für nicht erforderlich. Der schlaue Vogel würde den Verwechselungsfehler kein zweites Mal machen. Das ist auf der einen Seite beruhigend. Auf der anderen Seite ist das ein gutes Morgentraining,- vom Krähen-Peloton gejagt zu werden.

 

 

Hauptsache hoch – über die Faszination, bergauf zu fahren

 

Die meisten Rennradfahrer fahren gerne bergab. Da ist man schnell und muss sich nicht einmal anstrengen. Aber es gibt auch die anderen, die lieber bergauf fahren und sich freuen, wenn die Steigungsgrade zweistellig sind. Schwierig wird die Angelegenheit, wenn Berliner Radsportler die Kletterlust packt. Denn die höchste Erhebung der Stadt heißt zwar Berg, ist aber nur eine Schutthalde – der Teufelsberg. Über den schwierigen Versuch, seine Gipfel-Fantasien in der platten Hauptstadt auszuleben.

 

Asphalt und Natur

Rennradfahrer begreifen ihren Sport gerne als Naturerlebnis. Wenn sie in den Bergen auf himmelstürmende Gipfel blicken und die grüne Menschenleere durch das entfernte Läuten einer Kuhglocke untermalt wird,- dann denkt der Rennradfahrer: Herrlich! Manchmal hält er dann sogar an und genießt die eigene Entrücktheit.

Dabei vergisst der Rennradfahrer, dass die Kuh nur deshalb dort oben bimmelt, weil sie ein Mensch hochgetrieben hat. Und meistens vergisst der Rennradfahrer auch, dass er in den Bergen gar nicht rumfahren könnte, würde es sich tatsächlich um Natur handeln. Denn in der Natur wachsen keine Straßen. Erst recht keine aus Asphalt.

Rennradfahrer können sich der Natur nur deshalb nahe fühlen, weil der zuvor der Wesenskern ausgetrieben wurde: das Zuwuchernde, Versperrende, Bedrohliche. Darüber ist der Rennradfahrer in aller Regel froh, dass es all dies nicht mehr gibt und er sich weder durch Geäst schlagen muss noch über Geröll rumpeln. Viele Rennradfahrer sind schon schlecht gelaunt, wenn der Asphalt mal etwas körniger ist.

Widersprüche? Nein, Widersprüche erkennt der Rennradfahrer da keine. Er muss sich schließlich auf die nächste Kehre konzentrieren. Dabei ist es noch gar nicht so lange her, da wollte kein Mensch in die Berge. Weil es dort oben viel zu kalt war. Und Kartoffeln wären auf den Steinhängen auch keine gewachsen. Deshalb guckten die Menschen früher hoch zu den Gipfeln – und beließen es dabei.

Heute gucken GPS-Satelliten runter auf die Berge und zählen für die Rennradfahrer die Höhenmeter. Denn was ist ein Naturerlebnis wert, wenn man es nicht bei Strava hochladen kann? Wahrscheinlich wenig.

 

Eugen

Eugen heißt gar nicht Eugen. Ich nenne ihn nur so. Für den Fall, dass er seinen richtigen Namen hier nicht lesen möchte. Was ich verstehen würde.

Eugen macht nichts Illegales. Er fährt nur Rad. Allerdings macht Eugen sonst nichts weiter. Oder zumindest sehr wenig. Andernfalls käme er kaum auf seine 26.000 Jahreskilometer. Das ist ein beachtlicher Wert. Zumal, wenn man weiß, dass Eugen Ende 50 und seine Trainingsrunde 21 Kilometer lang ist. Kronprinzessinnenweg, Havelchaussee, Postfenn, Heerstraße, Königsweg.

Eugen könnte den Schlenker nach Schwanenwerder dranhängen oder zur Abwechselung mal runter fahren zum Wannsee. Aber das tut er nicht. Eugen fährt immer die gleiche Runde. Immer rechts rum. Er scheint Abwechselungen nicht zu mögen. Kronprinzessinnenweg, Havelchaussee, Postfenn, Heerstraße, Königsweg. Das sind ziemlich genau 21 Kilometer.

Mit Eugen über etwas anderes zu reden als über Kettenblätter oder das Wetter, ist schwierig. Deshalb habe ich die Kommunikation und die gemeinsamen Runden mit ihm eingestellt. Aber wir grüßen uns noch.

Ein früherer Mitfahrer will wissen, dass Eugen seit bald 40 Jahren seine Runde dreht und Hausmeister ist. Aber nur Teilzeit. Logisch. Sonst würde das mit den 26.000 Kilometern nicht klappen.

Zieht man von den 26.000 Kilometern 5.000 für An- und Abfahrt ab, bleiben 21.000 übrig. Geteilt durch 21 Kilometer macht das: tausend Runden. Tausend Mal im Kreis.

Möglicherweise ist uns Eugen allen voraus und er praktiziert eine Art rechtsdrehenden Zen-Buddhismus. Vielleicht ist Eugen aber auch auf irgendeiner Rille hängen geblieben. Damals in den 80ern. Da gab es ja noch Schallplatten.

 

Grüßen – oder nicht grüßen

Es gibt Radfahrerkollegen, die heben grundsätzlich die Hand, wenn ihnen jemand entgegenkommt. Andere grüßen dagegen aus Prinzip nicht. Selbst die nicht, die sie seit Jahren überholen. Ich finde beide Verhaltensweisen bedenklich.

Die Dauergrüßer sind mir tendenziell zu menschenfreundlich. Schließlich wissen wir alle, was für Arschlöcher so unterwegs sind. Da sollte man sich eine gesunde Grundskepsis bewahren, meine ich. Zumal unterscheidungslose Freundlichkeit die Sache im Zweifel nur verschlimmert. Denn grüßt man alle entgegenkommenden Rennradfahrer, könnten sich die nicht beachteten Mountainbiker diskriminiert fühlen. Und die Wochenendausflügler. Und die Täuscher auf den E-Bikes. Will man die alle grüßen? Ich nicht.

Auf der anderen Seite ist der Misanthrop eher von einsamer Natur – auch der auf dem Rad. Nicht ohne Grund dreht der Nicht-Grüßer meist allein seine Runden. Weil auch ihn keiner grüßen will, geschweige denn mit ihm mitfahren. Und immer allein ist doof.

Man könnte so tun als ob. Ein angetäuschter Gruß gewissermaßen. Ein leichtes Nicken, das aber auch ein nervöses Zucken sein könnte. Da hätte man guten Willen bewiesen, könnte sich aber noch auf das Feld des Missverständnisses zurückziehen, sollte sich der Zugenickte als Widerling erweisen.

Oder man wartet den Gruß der Gegenseite ab, um diesen dann – in gebotener Zurückhaltung – zu erwidern. Allerdings erwartet die Gegenseite häufig ebenfalls ein Zeichen der Kontaktbereitschaft. Und dann gucken sich beide an wie bei „Zwölf Uhr mittags“. Mit dem Unterschied, dass bei den Radfahrern nicht der gewinnt, der zuerst zieht.

Ein weiterer Unterschied: im Wilden Westen liegt nach dem Duell einer tot im Staub. Die Rennradfahrer bleiben dagegen beide im Sattel. Nicht, dass ich das bedauern würde. Aber so ein bisschen mehr finale Entscheidung hätte auch was für sich. Denn so ist das doch irgendwie unbefriedigend, wenn beide einfach weiterfahren – und keiner weiß, wer nun das Arschloch ist.

Der unsichtbare Feind

Ich hasse Wind. Selbst wenn er mich antreibt. Denn ich weiß, das ist ein kurzes Vergnügen. Irgendwann muss ich retour. Und dann treibt mich der Wind nicht mehr an.

Wenn ich nach Süden rausfahre, steht da ein Windrad. Da schaue ich voller Furcht hinauf: Wie schnell dreht sich der Flügel? Wie groß wird die Pein heute sein?

Einmal habe ich versucht, nicht hinzuschauen. Weil der Wind sowieso der stärkere ist, habe ich mir halb-buddhistisch einzureden versucht. Ein Holländer hatte mir mal geraten, den Wind als seinen Freund zu begreifen. Dann rolle es sich gleich viel leichter, meinte er. Ich habe es nicht geschafft. Ich musste hinschauen, und es war wieder eine einzige Strafe.

Was mich zermürbt, ist das Unsichtbare. Wenn ich einen Berg hochfahre, weiß ich, warum ich langsamer werde. Ich sehe die Steigung. Den Wind sehe ich nicht. Er ist der unsichtbare Feind. Denn glaubt man, er kommt von links, dreht er unversehens auf rechts. Und bläst er doch mal konstant von nord-nord-ost, ist das auch kein Trost. Denn man sieht es schon von weitem: am Ende des Maisfeldes schlägt die Straße einen Haken – und dann hat man ihn im Gesicht, den Wind.

Ich habe gegoogelt, aber es gibt keine Selbsthilfegruppe für Gegenwind-Oper. Ich sollte eine gründen.

Hinter(m)mann

hinterm Mann

der Hintermann

mit dem Hintern

hinterm Mann

hinterm Hinternmann

 

davor

der Vordermann

vor dem Hintern

vor dem Mann

dem Hintermann

der Vordermann

 

dahinter

hinterm Vordermann

am Hintern dran

der Hintermann

und Hinternmann

hinterm Mann

das ist der Hintermann

 

Schöne Beine

Man mag unseren Erbsen-Bizeps belächeln. Und das Hühnerbrüstige. Aber nicht unsere Beine. Unsere Beine sind schön. Und ich meine: wirklich schön.

Ich bin mir sicher, hätte es zu Michelangelos Zeiten schon Radsportler gegeben, er hätte einen Modell stehen lassen für seinen David. Zumindest für den Part unten rum.

Diese Waden! Diese Schenkel! Elegant und bis zum Äußersten ausgeformt. Aber nicht sinnlos aufgeblasen. Denn Kraft muss effizient sein, sonst taugt sie nicht. Und Nutzlosigkeit ist nicht schön.

Strecker, Beuger, Musculus soleus,- ein perfektes Zusammenspiel, Warum hat Karl Lagerfeld nie Rennradfahrer auf den Laufsteg gebeten? Es wird sein Geheimnis bleiben.

Die Bodybuilder in der Muckibude belächeln uns Schmächtige. Aber nur, bis sie unsere Beine sehen. Solche hätten sie auch gerne. Haben sie aber nicht. Und werden sie nie bekommen. Da können sie noch so viele Proteinshakes – oder was auch immer – trinken. Ansehnliche Sehnigkeit ist rotierende Beinarbeit.

Ja, Frauen haben mitunter auch schöne Beine. Selbst welche, die nie auf dem Rad gesessen haben. Das ist zweifellos ungerecht. Zumal unseren wohlgeformten Gliedmaßen schon nach vier Wochen Trainingspause gewöhnlich zu werden drohen. Dann sind unsere Beine zwar immer noch schöner als die der Muckimänner, aber Michelangelo würde möglicherweise jemand anderes Modell stehen lassen.

Und das hat etwas Tragisches, beinahe Altgriechisches: Wir treten auf und ab – und doch werden wir nie in Marmor gehauen.